Auf Grund einer „Report"-Anfrage ging man in das Kreuzberger Jugendfreizeitheim in der Naunynstraße und spielte dort nicht mehr das ganze Stück „Rita und Paul" fürs Fernsehen nach, sondern man setzte dort an, wo es in den Frankfurter Jugendfreizeitheimen mit den Rockern nach den Aufführungen erst so richtig spannend wurde- dem Mitspiel-und Animationstheater. Das war ja nun schließlich auch das Handwerk, das die Mitglieder des HCT fast ein Jahr so intensiv in ihrer Fabriketage in der Kreuzberger Oranienstraße 45 gelernt hatten.
hoffmanns comic teater
An diesem Abend in der Naunynstraße legte das HCT einfach Gummimasken auf den Tisch. Einige der anwesenden Kreuzberger Lehrlinge und Jungarbeiter nahmen sie sich und spielten spontan eine selbsterfundene Szene, in der ein arbeitsloser Mörder zum Arbeitsamt geht und das Arbeitsamt unfähig war, dem Mörder eine Stelle zu vermitteln. In dieses Spiel stiegen die Mitglieder vom HCT ein. Aus dem Spass, den das Spiel allen Beteiligten machte, entwickelte sich eine weiterreichende Zusammenarbeit.
leppi und jako
proben mit dem hct
So wurden Jako Benz (Klaus Jakobeit), Bernhard Kässner, Raymond Flechner, Läppi Leppin und Bonner Ensemblemitglieder beim Hoffmanns Comic Teater. Sie hatten Präsenz und Schlagfertigkeit, Kraft und Witz und verfügten über das natürliche Geschick, Pointen aus improvisierten Situationen herauszukitzeln und den jeweiligen Szenen neue, unerwartete Wendungen zu geben.

Zu der Musikgruppe des HCT stieß noch im Herbst 1969 als Bassist Kai Sichtermann, der bis auf kurze Auszeiten bis zur Auflösung dabei blieb.
1970:

Vom HCT zu den
Roten Steinen

Am 2.1.1970 zog man in eine Fabriketage in der Oranienstraße 43. Nachdem die Lehrlinge Teil des HCT geworden waren, gab es in der nun erweiterten Gruppe unterschiedliche Auffassungen darüber, wie es mit dem Theater weitergehen sollte. Man trennte sich schließlich.
Jako, Bernhard, Reimund, Läppi und Bonner gründeten das Proletarische Lehrlingstheater Rote Steine
Peter und seine Frau Sybille, Dietmar, Lanrue und Kai blieben beim HCT. Rio und Gert machten mit den Roten Steinen weiter. Mit diesem Entschluß war nun auch die Musikgruppe zunächst getrennt.
Rio gründe mit Jens Jordan und Wolfgang Seidel die Theaterband der Roten Steine. Jako und Bernhard entwarfen die Ideen für die improvisierten Theaterstücke.

In einer Broschüre über das „Proletarische Lehrlingstheater Rote Steine", hieß es über die Ziele:: „Das Spiel in Jugendheimen, vor Betrieben, in Mieterversammlungen, vor Berufsschulen propagiert den Klassenkampf. In dem Spiel und Wirklichkeit zusammenfallen, wird es zum Klassenkampf. Lehrlinge spielen z.B. die ausbeuterische Situation in einem Betrieb, um einen Streik herbeizuführen, Forderungen werden aufgestellt, die Zögernden werden überzeugt, Außenstehende solidarisieren sich, das Spiel geht über in die Diskussion, ist Teil der Diskussion, deren Ergebnis die klassenkämpferische Aktion ist."

Jako sagt.:" Wir wollten auf komödiantische Art und Weise andere antörnen, sich gegen die Ausbeutung der Lehrlinge in den Betrieben zu wehren."

Die Roten Steine hatten mit selbstgeschriebenen Stücken verschiedene Auftritte in Berlin sowie Deutschlandweit, zu denen Rio die Musik schrieb, wie z. B. zu dem Stück Sklavenhändler. Einige Songs sind in dieser Zeit der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens mit den jungen Berlinern Prolls entstanden. Jako sagt heute: „Rio war in der Lage, das in Lieder und Texte zu fassen, was wir dachten. Er war unser Barde."
So entstand u.a. Ich will nicht werden, was mein Alter ist.
rote steine
leppi, jako, raimund u. bernhard
rio reiser
1970: Berliner Proleten erobern die Domstadt

Im März d. J. gab es für die Roten Steine eine Einladung nach Köln, wo das Agitationskonzept vor Betrieben und in Jugendeinrichtungen erfolgreich ausprobiert wurde.

Nach den Erfahrungen in Köln verstärkte sich Rios Bedürfnis nach einer eigenen Band, denn er sah nun die Chance weit effektiver Menschen mit seiner Musik politisch und im weitesten Sinne menschlich zu erreichen, als er es vielleicht als "Politiker" hätte können. Michael Böhme war so einer, er managte die PL/PI, Proletarische Linke/Parteiinitiative und war nebenbei noch als Medienmensch tätig und fertigte zu dieser Zeit einen Dokumentations-Film mit dem Titel: "Fünf Finger sind eine Faust" an. Zu diesem ARD-Film über die Ziele der APO steuerte die Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt noch keinen Namen hatte, ihre Songs bei, z.B. "Macht kaputt, was Euch kaputt macht" und "Wir streiken". Nach der Ausstrahlung des Films riefen über tausend Zuschauer bei dem Sender an - nicht weil sie sich über den politischen Inhalt dieser Dokumentation beschweren wollten - sondern um zu erfahren, wo man die unterlegte Musik käuflich erwerben konnte.

rote steine in köln
Die erste Single

Ein paar Wochen später konnte man den Soundtrack als Platte kaufen. Die erste Single der "Ton Steine Scherben" wie sich diese Band von Rio, Lanrue, Wolfgang und Kai nun nannte, war "auf den Markt", und die Band hatte endlich auch einen Namen. Von den achtzig Vorschlägen die von "Die roten Gentlemen" bis zur "Schwarze Wolke" reichten, blieb Rio's Namensidee „Tone Steine Scherben" übrig.

Zu Weihnachten 1970 waren bereits 6.000 Singles "Macht kaputt was euch kaputt macht" verkauft. Kai Sichtermann schreibt in seinem Buch über TSS: "Vor allen Dingen der Titel 'Macht kaputt..' begründete den Ruhm der Scherben... bis spät in die 80er Jahre hinein wurden sie mit diesem Titel identifiziert, und das, obwohl sie ihn nur bis Mitte der 70er live spielten. Von den knapp 80 veröffentlichten Scherben-Songs kann man die Stücke mit radikalem Text an einer Hand abzählen".

Kai deutete später den Namen so: „ Zum Beispiel: Wir machen Musik - Töne - , und die Töne führen dazu, dass Leute Steine in die Hand nehmen und sie gegen den Feind schleudern, gegen die Bullen, gegen die Banken, gegen das Kapital". Das war ein Blick auf die handgreiflichen Auseinandersetzungen, die tatsächlich in den nächsten Jahren folgen sollten.

Weiterhin arbeiteten die nun gegründeten Ton Steine Scherben auch als Theaterband der Roten Steine. Die Roten Steine und TSS hatten gemeinsame Auftritte und Tourneen u.a. in der Schweiz. Nach dem letzten Auftritt in Basel entstand eine spontane Demonstration der Zuschauer. Die daraufhin erfolgte Polizeiobservation und Autokontrolle eines Teils der Roten Steine und TSS führten zu einer Prügelei mit der Schweizer Polizei und zur Ausweisung aus dem Land. Bis in die Schweiz bewies sich das Konzept des Proletarischen Agitationstheaters als sehr erfolgreich. Hier gab es noch Jahre nach dem Auftritt eine Lehrlingsorganisation, die sich Rote Steine nannte.

Im September 1970 hatten die Roten Steine ein Engagement beim Open Air Pop Festival auf Fehmarn. Wie so häufig waren auch die Scherben dabei. Die Roten Steine waren als Theatergruppe
aus steuerlichen Gründen eingeladen, da die Veranstalter das Festival somit als Kulturveranstaltung absetzen konnten. Sie traten aber nicht auf, sondern alle hielten es für besser, dass nur die Scherben spielten. Das war der erste große Liveauftritt der Scherben.

Die Band Ton Steine Scherben hatte sich verselbständigt und war nun nicht mehr die Soundgruppe für das Lehrlingstheater Rote Steine. Die Freundschaft, das Zusammenleben und die Zusammenarbeit blieben trotzdem weiterhin erhalten. Jako Benz arbeitete und lebte über Jahre zusammen mit den Scherben am T-Ufer und zog mit ihnen nach Fresenhagen. Er wurde Mitglied der Scherben.
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